Täglich werden in Deutschland hunderttausende öffentliche Nutzerkommentare zu allen nur erdenklichen Themen geschrieben. Publiziert werden sie in Social Media, News Communities, Review-Plattformen oder Themen-Foren. Kontrolliert werden sie von Community-Management-Teams jedoch oft nur stichprobenartig. Die Flut an Meinungen ist meist nicht vollständig zu überblicken und viele Kommentare sind weder für die Mitleser noch für die Community-Betreiber von allzu großem Interesse.
“Relevanteste zuerst”
Für große Seiten mit hoher Nutzeraktivität sortiert Facebook seit 2019 die Kommentare standardmäßig nach "Relevanteste zuerst". Die Kommentare werden dabei so gerankt, wie sie vom Algorithmus für den einzelnen Leser am interessantesten gehalten werden. Facebooks Strategie Making Public Comments More Meaningful umfasst dabei Kommentar-Interaktionen im Allgemeinen und von Freunden des Lesers sowie vom Seitenbetreiber im Speziellen. Gemäß dieser Parameter könnte das Ranking für verschiedene Leser tatsächlich eine gewisse Varianz aufweisen (Freunde-Reaktionen). Faktisch kann man aber auf reichweitenstarken Seiten beobachten, dass die "Relevanteste zuerst"-Kommentare oft die gleichen sind ("Bubble") und vor allem von zeitlich frühen Kommentaren dominiert werden, die viele allgemeine Reaktionen aufweisen. Umso wichtiger ist es, dass die Seitenbetreiber selbst durch Page-Interaktionen Einfluss nehmen auf dieses Ranking und interessante Kommentierungen in der Sichtbarkeit unterstützen, indem sie sich aktiv mit ihnen auseinandersetzen.
Es zeigt sich auch, dass die Facebook-Kommentar-Relevanz und Kommentar-Relevanz für Seitenbetreiber und Redaktionen nicht unbedingt gleich sind und dass es für Community Management-Teams viel Sinn ergibt, sich bei den für sie interessanten Kommentaren zu engagieren. Das gilt übrigens nicht nur für Facebook. In fast allen Formen öffentlicher oder halböffentlicher Kommentierung hat die sichtbare Beteiligung von Community-Betreibern eine gravitätische Wirkung auf die Nutzer-Aufmerksamkeit – so lange sie natürlich nicht inflationär wird.
Was ist ein relevanter Nutzerkommentar für das Community Management und wie unterscheidet er sich von den vielen anderen Kommentaren?
Ein Modell für Kommentarrelevanz im Community Management beachtet:
wesentlich die zeitlichen Aspekte des Kommentar-Lifecycles,
die Interaktionen der Community-Teilnehmer,
Randbedingungen über Autoren und
den Inhalt des Kommentars.
Die zeitlichen Aspekte, wie das Alter des Kommentars und die anfängliche Dichte der Interaktion, sind wichtige Faktoren, um die Wirkmächtigkeit vorauszusagen. Die Reaktion des Community-Teams ist ebenfalls eine Frage des Timings und wird sich in der Wahrnehmung ändern, wenn sie zu reaktiv erfolgt. Die Antworten und Reaktionen (z. B. ”like” oder “sad”) aus der Community sind diskriminativ, auch wenn sie zu Alter und Facebook-Ranking in ein Verhältnis gebracht werden sollten. Auch wird gelegentlich strategisch oder flashmobartig reagiert (was kein Ausdruck "echter Relevanz" ist). Spannend sind – wo möglich – die Häufigkeit viraler Mentions. Die verfügbaren Informationen über den Kommentar-Autor sind für Community-Management-Relevanz eine große Bereicherung - seien es die Tags, die vom Community–Team manuell vergeben wurden oder vielmehr eine Ad-hoc-Analyse der sonstigen Aktivität des Autors in der Community (Troll, konstruktiv, Bubble-aktiv usw.). Last but not least ist das, was im Kommentar steht, natürlich nicht unerheblich und kann durch Verfahren der natürlichen Sprachverarbeitung hinsichtlich Tonalität und Konstruktivität oft hinreichend gut klassifiziert werden.
Das beschriebene Community-Management-Relevanz-Modell ist nicht perfekt. Es wird anhand der bestehenden Parameter optimiert und wird zukünftig durch weitere Aspekte ergänzt werden müssen (so wie bspw. bei Facebooks Nutzer-Relevanz-Algorithmus). Es zeigt sich aber, dass damit bereits ein gutes praktisches Relevanz-Ranking möglich ist. Insbesondere für Communities mit hohem Kommentaraufkommen kann auf diese Weise eine sehr nützliche Priorisierung erreicht werden.
Wieso sollte sich das Community Management überhaupt mit relevanten Nutzerkommentaren beschäftigen?
Mitunter kommt die Frage auf, warum der Betreiber überhaupt Kommentar-Engagement zeigen sollte – reicht es nicht, dass er die Diskussionsanlässe schafft und die Community mit sich selbst ins Gespräch kommt? Das mag möglich sein. Zumindest aber besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass Hass und Spam eine Diskussion unmöglich machen und eine Community verkümmern lassen. Daher bemüht sich die Mehrzahl der Betreiber darum, dass die "negative Sichtbarkeit" gemäß einer Hausordnung ("Netiquette") verhindert wird. Warum dann aber nicht auch "positive Sichtbarkeit" in Form von Engagement und Dialog erzeugen? Dieser Schritt erscheint insbesondere dann zweckmäßig, wenn es strategische Ziele und Erwartungen an den Community-Betrieb gibt. Denn Kontinuität und Aufmerksamkeit der Teilnehmer gewinnt, wer sichtbar Konstruktivität und Relevanz fördert. Und schließlich: im Unterschied zur Verhinderung des Negativen kann die Wirkung des positiven Engagements gemessen und verbessert werden. Eine klare Win-Win-Situation für beide Seiten der Community: Betreiber und Nutzer.